Freitag, 24. Oktober 2014

Elefant

Tante Maria sah auf dem Holzbock und schälte Kartoffel. Die Kartoffelschalen fielen in den Eimer, den sie vor sich, zwischen Ihren Beinen, gestellt hatte. Geschälte Kartoffel warf sie dann in den mit Wasser gefüllten Topf, der nur darauf wartete, auf dem Herd zum Kochen gestellt zu werden. So kochte sie und sang:
´O Elefant, o Elefant,
finden wir dein Brüderchen,
Finden wir es,
bevor es dunkel wird.
O Elefant, o Elefant´
So sang sie und man hörte sie weit hinter dem Küchenzelt, da wo sich die Männer zum Zigarren-rauchen trafen. Der eine oder der andere hielt mal einen Fläschchen dabei und teilte es mit dem Rest. Nur der Elefant war nicht dort, wo sie rauchten. Er fand sich immer stattdessen ein kleines Versteck, wie für sich gedacht, und lauschte Tante Maria´s Gesänge für sich selbst, ohne viel darüber nachzudenken.

Mal kam zu ihm das Kätzchen und murmelte verspielt. Elefant murmelte dann auch und so unterhielten sie sich eine Weile. In diesen Momenten stellte er sich vor, er wäre nicht mehr der Elefant, sondern hätte auch so ein weiches Fell und könnte auch so leise unter den Tischen und Bänken auf denen die Männer saßen, zwischen den abgestellten Bierflaschen, durchlaufen. So gern wäre er der kleinste und der stärkste und in den Momenten, in denen er sich mit dem Kätzchen so unterhielt, hatte er das Gefühl es wäre auch so.
Man wusste nicht mehr, wie alt Elefant war. Manchmal war es das Thema einer Wette zwischen den Männer, manche gaben ihm 20, manche 30 Jahre. Ansonsten wetteten immer die Männer, welches Huhn am stärksten ist, oder welche der Frauen heute am längsten zum singen bleibt. Und da Elefant es selber nicht so genau wusste, blieb das ein Geheimnis, das niemand kannte.
Elefant sah immer schon so aus, was auch für immer sein Vorteil sein sollte. Er änderte sich nicht, deswegen klagten auch die Zuschauer bei den Vorstellungen nicht, da jeder wusste, dieses Jahr wird man Elefant auch anschauen können. Elefant klagte auch nicht, aber klagen tat er ansonsten auch nie, wegen irgendwas, und schließlich saß er einfach da und wartete, bis auf seine Zeit auf der Arena verging.

Manchmal hatte man Fliegen in den Zelten, was besonders die Somnambule unerträglich fanden. Man ließ dann kleine, dunkle Tomaten liegen und dann verschwanden die Fliegen. Bald darauf verschwanden auch die Tomaten. Dann rief Tante Maria: ´Elefant, hast du denn unsere Tomaten gefressen?!´ und sang darauf ihre Lieder. Elefant saß dann in seinem Versteck und fragte das Kätzchen murmelnd, ob es das war, dass die Tomaten aufgefressen hatte. Irgendwie wusste er aber, dass es nicht so sein konnte, da das Kätzchen schließlich das Klügste war, was er kannte und hatte kleine Tomaten aus dem Zelt zum klauen nicht nötig.
Elefant dachte dann immer an die Mäuse. Die erschienen immer schließlich dann, wenn niemand es merkte und sie könnten die Tomaten wegfressen. Jeden Abend, nach der Vorstellung, als die Mitarbeiter-Zelte noch leer standen, da sich alle im Vorstellungszelt besauften, bastelte er an Mäuse-Fallen hinter seinem Schlafgemach. Am nächsten Tag, als alle Männer nach dem Abendrausch noch schliefen, verlegte er die Fallen in allen möglichen Orten, wo die Mäuse reinkommen könnten. Tag danach fand er zwar keine Mäuse drin, aber die Fallen musste man trotzdem reparieren und neu verlegen.

Nachts Schliefen Tante Maria und Onkel Phelippe in ihrem Bett, dass an dem Anderen Ende ihres Schlafzeltes gelegen war. Mal konnte Elefant lange nicht einschlafen und hörte etwas, was ihn mal an Weinen, mal nach Schnarchen erinnerte. Dann kam Tante Maria und sang ihm ein Lied und so schlief er ein.
Onkel Phelippe konnte mit einer Hand zwei enormer Schwere Blöcke anheben, deshalb nannten ihn alle ´Der Heber´. Sein Brustkorb war der breiteste deren aller Männer und sein Schädel glatt. Elefant schaute immer zu, als Onkel Phelippe seine Rasierklinge um ein Ledergürtel schärfte. Immer glitt die Klinge sanft über den Gürtel, bis auf sie so scharf war, dass Elefant sich nicht getraut hatte, näher an sie zu kommen. Sie lag auch immer bei den Sachen, die Onkel Phelippe bei seiner Toilette gebrauchte und blinzelte dort immer, als Elefant nicht einschlafen konnte.
Onkel Phelippe und Tante Maria waren immer da, seit dem Elefant sich erinnerte. Immer war auch der Circus da. Nur das Kätzchen kam jeden Jahr ein neues, noch klüger und stärker als das andere. Es hatte niemals angst vor den Männer, dachte Elefant, und das Kätzchen murmelte ihm entgegen.

Mal nahmen Onkel Phelippe und Tante Maria Elefant zum Dorf um den Stoff für die neue Kleider auszusuchen. Die Kleider nähte Tante Maria immer selbst, nach Maß, und Elefant freute sich immer darauf. Sogar die Socken und die Mützen strickte sie ihm selber und so lief er jeden Winter ganz neu angezogen. ´Na, freust du dich, mein Elefant?´ - fragte sie dann immer und obwohl Elefant nichts antwortete, blinzelten seine Augen von Freude.
Zu den Vorstellungen brauchte Elefant auch immer ´spezielle´ Kleidung. Man nahte ihm zu dieser Gelegenheit eine Tunika aus goldenen Seide, rötliche Hose und eine gelbe Mütze. Elefant gefiel diese Kombination und alle Frauen im Circus begeisterten sich für ihn, besonders, als ihm Tante Maria Rouge auf die Wangen gelegt hatte. ´Da ist unser Star!´ - schrien sie dann immer. Elefant sah nur schweigend da aber tief im inneren war er warm von dieser Aufmerksamkeit.
Im Dorf durfte Elefant sich auch alle mögliche Süßigkeiten aussuchen. Zum Süßigkeiten-Laden gingen die drei zum Schluss, als die Stoffe und Lebensmittel eingekauft waren. Elefant durfte sich dann ganze Menge Zeit nehmen und auswählen, was immer er wollte. Meistens liebte er weiß-goldene Honigbonbons. Mal nahm er drei von ihnen auf ein Mal in den Mund und leckte so lange, bis auf die milchige Mitte auf seine Zunge floss. Die schmeckte er eine Weile, schluckte und füllte ein warmes Gefühl in seinem Bäuchlein.

Damals, als Onkel Phelippe noch wilde, schwarze Locken auf dem Kopf trug, wurde Elefant bei der Vorstellung von einem Pferd auf die Arena getragen. Einmal aber passte ein von den Männer nicht auf und ist hinter dem Pferd zu nah gegangen. Der Pferd hüpfte plötzlich und Elefant fiel um. Nachdem musste er zwei Wochen lang auf seinem Schlafgemach liegen bleiben, und Tante Maria tat es dermaßen Leid, dass sie ihn seitdem nie wieder auf einem Pferd sitzen ließ. Danach schreckte sich Elefant trotzdem nicht von Pferden, er wüsste schließlich, dass die Pferde ebenso wie er schwach gegenüber den Männer waren und auch Angst fühlten, also ging er nach wie vor jeden Abend zum Pferdestahl.
Pferde nannte er in seinen Gedanken ´Prinzen´. Den ´Prinzen´ brach immer jemand etwas zum essen, worauf sie immer auf ihre Art und Weise mit dem Schwanz wackelten. Circus besaß zehn Pferde, wovon eine Hälfte ganz schwarz, die andere ganz weiß war. Nur der ´Sieger´ hatte einen weißen Pfeil auf seinem schwarzen Stirn. Immer, wenn die Pferde auf die Arena einmarschierten, ging der ´Sieger´ als erste, wenn also der weiße Pfeil in dem dunklen Eingang erschien, wusste man, die Pferde treten ein. ´Sieger´ hatte auch den ersten Platz in dem Pferdestahl. Man schaute bei ihm als erstem, ob er immer frisches Wasser hatte und man kämmte ihn häufig. Wann immer auch Elefant traurig war, ging er zum ´Sieger´. Er fürchtete sich nicht, dem Publikum als erster in die Augen zu schauen, dachte Elefant. Und ´Sieger´ schaute ihn tröstend entgegen an.

An diesem Abend waren alle Pferde ruhig. Ab und an hörte Elefant eine Fliege und das Wasser tropfte am anderen Ende des Stahls. Hinter dem Pferde-Zelt waren Gesänge der Männer und Frauen zu hören. Musik spielte. Plötzlich, ganz nah an dem Zelt, hörte er das Brummen eines vorbeifahrendes Wagens, was auch nicht ganz gewöhnlich war, weil man um die Uhrzeit keine Zuschauer mehr erwartete und der Circus lag auf keinem gut befahrenen Weg. Da Elefant aber schon mehrmals festgestellt hatte, dass alle möglichen dinge können Mal passieren, lauschte er weiter die Stille des Pferdestahls. Plötzlich hörte der Wagen zu brummen auf. Elefant hörte knacken der sich öffneten Türen, das zweite Knacken, das dritte, und der Wagen fuhr Weg. Eine Weile herrschte stille, und dann hörte er:
´Hilfe, Hilfe! Hört mich jemand?`
Elefant saß unbewegt. Schreiender Hilferuf in der Dunkelheit war etwas, worauf er in ganzem seinem Leben nicht gestoßen war, deswegen saß er da und wüsste erst mal nicht ganz genau, was in solchen Fällen zu tun ist.
´Hilfe, Hilfe!´
-kam wieder vom hinten. ´Was würde ein Kätzchen tun?´ Fragte sich Elefant, da er sich das immer fragte, wenn er nicht wusste, was er machen sollte. Letztlich war das Kätzchen das klügste und das mutigste, was er kannte.
´Bitte, helfen Sie mir!´
Im Elefant mischten sich die Gefühle der Verunsicherung und Verzweiflung. Und, trotzdem, wie sehr er sich jetzt vor dieser Dunkelheit fürchtete, dachte er an die Worte der Tante Maria, dass man immer behilflich sein sollte, wenn die Andere das brauchen, und beschloß dem Hilferuf zu folgen.
Auf dem Gras, hinter dem Pferdezelt lag eine Gestalt deren Hände und Füße zusammen gebunden waren. Auf den ersten Blick sah sie aus, wie einer der Männer, nur hatte sie einen schwarzen Anzug an, was keiner von dennen jemals tragen wurde, und das beruhigte Elefant.
´Bitte, entbinden Sie mich.` - fragte die Gestalt. Ihre Höflichkeit und die Tatsache, dass sie sich in dieser elenden Lage befand, ermunterten Elefant. Schließlich war er nicht gewöhnt, dass jemand ihn um irgendwas betete und schwächer als er war. Er kam näher.
Elefant erkannte in der Gestalt einen jungen Man, der sich so von ihm bekannten Männer deutlich unterscheidet hatte. Auf dem weißen Hemd merkte er einen rötlichen Fleck. Sein Gesicht war geschwollen und hatte blaue Flecken rund um die Augen.
´Bitte!´ - fragte nochmal der Man. Elefant schaute ihn schweigend an, zögerte aber nicht länger und fing rasch an die Gefessel zu lösen. Der Man schreckte erst mal die befreiten Hände und Füße auf, atmete mit Erleichterung und setzte sich hin auf dem Gras.
´Sie dachten, ich wäre tot.´ - klärte er. ´Aber mich, mich kann man nicht so leicht umbringen. Oh, ich kenne diese Schweine. Sie nehmen Dir alles weg, was Du noch hast und dann wollen sie Dir noch das Leben nehmen. Das ist ihre Art zu handeln.´
Elefant wusste nicht, um welche ´Sie´ es sich handelt, und überhaupt nicht, wieso bringen sich die Menschen gegenseitig um, schaute aber den Man neugierig an.
´Jetzt hab´ich gar nichts, aber mein Leben hab´ ich noch. Und Sie sind?´
Elefant war nicht gewöhnt, dass man ihn irgendwas fragte, und überhaupt nicht, wer er sei, es dauerte also eine Weile, bis auf er verzweifelt leise antwortete:
´Ich bin Elefant.´
´Das ist ja ein komischer Name`
´Ich bin auch komisch´
´Bist Du?´
´Da, auf der Arena. Ich nehme kleine Münzen. Was Du hast, gibst du, Elefant tanzt auf einem Bein, la la la.`
´Ich habe keine Münzen. Und sehe jetzt auch komisch aus.´ - sagte der Man.
Elefant schaute ihn an. ´Man nennt mich Billy on the Road´ - sagte er und lächelte schwach. Und in dem Moment, wo er so schwach lächelte, und überhaupt so schwach war, fühlte sich Elefant einig mit Billy. So selten fühlte er sich mit irgendjemandem einig. Und, obwohl es niemand mehr was sagte, dachte er an tausende Dinge, die er über Billy erfahren könnte. So saßen sie beide eine Weile, beide ohne Angst, wie zwei Brüder, die sich seit Jahren wieder begegnen. Niemand war stärker, oder schwächer, sie waren anders und einander ähnlich.
Dann stand Billy auf und reichte Elefant seine Hand. Elefant schob seine in die vom Billy rein. Es fing an zu regnen. Sie gingen, und der Weg war breit.


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