Der Weg, den sie nahmen,
führte über die Maisfelder. Der Mais wuchs hoch in diesem Herbst
und duftete leicht süßlich in der Abendsonne. Aus der Weite, von
der Nähe der Wohnsiedlungen hörten sie Kinder, die noch um die
Uhrzeit draußen spielen durften, da die Schule noch nicht angefangen
hatte. Die Pferde waren müde und, obwohl es Joschka schon eilig nach
Hause war, liefen langsam, in ihrem eigenen Tempo. Solche Momente
mochte er dann nicht mit Gesprächen verweilen und so schwiegen sie
beide den ganzen Weg lang. Johann beschwerte sich ganz und gar nicht,
da er endlich seine Beine hochziehen und auf dem Beifahrersitz etwa
ruhe finden durfte. Schließlich werden sie bald zu Hause und dann
wird es gelernt für die Schulprüfung im Winter. Und ab dem Nächsten
Jahr geht er zur Schule und es wird kein Milch zum abliefern mehr
geben. So träumte Johann, bis auf sie endlich nach Hause eintrafen.
Joschka, der Milchmann,
hatte nur den einzigen Sohn. Seit vorletzten Sommer fehlte die Frau
von Joschka und der Amt wollte kleinen Jo wegnehmen, da es sich nicht
sicher war, ob der Junge es ansonsten mit der Schule schaffen wird.
Joschka hat sich aber dermaßen bemüht, dass der Amt ihm schließlich
Jo da gelassen hat, unter der Bedingung, dass der Junge die Prüfungen
für die Schule erfolgreich besteht. Bis zu den Prüfungen jedoch
blieb sein Sohn bei ihm und, da man ansonsten nicht wüsste, was man
mit ihm machen sollte, half er Joschka täglich das Milch
abzuliefern.
Als sie nach Hause
kamen, musste man als erste die leeren Milchflaschen aus dem Wagen
nehmen und in die Küche zum aufkochen rein stellen. Dort befand sich
ein spezieller Platz für die Flaschen die Joschka täglich
mitbrachte. Er stellte auch gleich drei große Töpfe mit Wasser auf
dem Herd. Gleich wird das Wasser kochen und dann kann man dort die
Flaschen rein stellen. Die werden so die ganze Nacht durch kochen, so
dass sie frisch für den Morgen und für das neue Milch werden. Dann
wird es gegessen und gelernt.
Zum Abendbrot setzten
sie sich immer, als die Pferde und die Milchflaschen schon versorgt
waren. Da half Jo immer indem er kleine, nicht allzu schwere Sachen
in das Haus trug. Joschka versorgte die Pferde und Jo vorbereitete
das Essen, so weit er das nur in seinem kindlichen alter tun konnte.
Zum Essen gab es immer etwa Brot, Frischkäse, Marmelade, Schinken
und frisches Milch von den Kühen. Joschka trank noch einen mächtigen
Kaffee dazu – ohne Kaffee schlief er schon im stehen, ganz wie
seine Pferde – den vorbereitete er aber selber, da der Herd kleinem
Jo viel zu hoch war.
Als sie sich zum Tisch
setzten, rezitierte Joschka erst mal ein kurzes Gebet. In diesen
Momenten dachten die beiden an die Ma, die es damals immer tat,
niemand gab es aber laut zu. Joschka bedankte sich bei dem Gott für
alle seine Gaben, dass sie beide genug zum Essen hatten, und für das
Haus, für das Bett zum ausruhen und sagte immer, Gott sei Großzügig
zu den Menschen auf Erden. ´Wieso ist Ma nicht mehr mit uns, wenn
Gott so großzügig ist?´ - dachte dann immer Jo, Das dachte er aber
nur zu sich selbst, da er in seinem Alter schon wusste, man stellt
solche Fragen den Erwachsenen nicht. Dann aßen sie friedlich und
schweigsam, anschließend bat Joschka Jo, seine Schulhefte mit zu
bringen.
Mal hat Joschka versucht
einen Lehrer für Jo zu besorgen, alle aber, die in der Stadt
wohnten, absagten nach und nach wegen des langen Weges und der
einzige, der nicht abgesagt hatte, verlangte dermaßen hohen Preis,
dass er sich das nicht leisten konnte. Und so unterrichtete er seinen
Sohn selber, mit größerem oder kleinerem Erfolg, aber der Junge
lernte jeden Abend außer Sonntag. Jo war viel mehr begabt in den
mathematischen Aufgaben als im Lesen, und die machten ihm eindeutig
mehr Spaß. Lesen und schreiben musste er aber, da die Schule großen
Wert auf Sprache legte und die Kinder dort Dichten und rezitieren
lernten. Um so mehr verlangte Joschka, dass Jo sich mit verschiedener
kindlichen Literatur befasste und auch mit der für Jugendliche. Mit
dieser Erziehung wuchs Jo in der Atmosphäre der großen
Verantwortung, die auf ihm lag und, vergleichend mit seinen
Gleichaltrigen, reifen Gedanken und Sentenzen aus den Bücher, die
Joschka sein Leben lang ansammelte und seinem Sohn am Abend vorließ.
Täglich hatte Joschka
vierzig Milchflaschen abzuliefern. Die Haushälte, die er zu
versorgen hatte, gehörten oft zu den Mitarbeitern den Fabriken aus
der Industriegegend. Da die Kunden von Joschka alle eher bescheiden
lebten, bekam er immer, wenn an jenem Tag das Geld für das Milch
fehlte, einen kleinen Stück Schinken oder Käse. Bei manchen
verweilte er dann immer zu einer kleinen Mahlzeit. Dann erzählte
immer die Frau des Hauses über die Messe und wie es dem Pastor und
seiner Familie geht. Mal schenkte man etwa Kreuterschnaps ein und
alle, außer Jo bekamen klein bisschen davon. Er dagegen saß da und
hörte Erwachsenengespräche zu. Manchmal spielte er mit dem Hund und
schaute ihm zu, als er anfing, nach seinem eigenen Schwanz zu suchen.
Der Hund drehte sich immer dann im Kreis und versuchte, seinen
Schwanz zu erwischen. In diesen kurzen Momenten durfte sich Jo wie
ein Kind in seinem Alter benehmen und lachte dann immer. ´Lass den
armen Hund in Ruhe. Komm, wir gehen jetzt´ - meinte gewöhnlich
Joschka, dann verabschiedeten sich und gingen weiter zu den anderen
Familien, die sie versorgten.
Es war nicht immer
leicht, den Wagen mit den Pferden zwischen den Häuser zu fahren. Mal
war der Weg zu schmal und die beiden mussten den Umweg nehmen. Mal
war auch die Straße nach dem Regnen noch matschig und der Wagen
blieb stehen. Dann musste Joschka aussteigen und schimpfend den Wagen
aus der Matsch raus ziehen. Das reizte die Pferde die dann ungedultig
stampften. Manchmal ging dafür die ganze Halbe Stunde verloren und
der Tag verzögerte sich. Wenn sie dann endlich geschafft haben,
zwischen den grauen Häuser durchzufahren, blieb gar keine Zeit übrig
und sie freuten sich so bald, als alles erledigt war.
Außer dem Milch von den
Kühen bekamen Joschka und sein Sohn noch täglich frische Eier. Die
Hühner liefen überall durch den Garten und hatten ihren Aufgang in
die Küche. Manchmal züchtete Joschka neue Hühner aus den Eier. Die
legte er dann in ein warmes Nest und lass eine Ente da, so dass sie
Ruhe hatte und sich um Nachwuchs kümmern konnte. Damals geschah es
im Hühnerstahl, nachdem aber ein erwachsener Huhn einem Kucken die
Augen auskratzte und die Feder ausrieß, beschloss Joschka die Hännen
und ihre Neugeborenen in einen ruhigeren Ort zu verlegen. Das blinde
Kücken bewohnte seitdem das Zimmer von Jo und lebte sich mit ihm
zusammen.
Zum Neujahr schlachtete
Joschka immer einen Huhn. Das tat er in der Schäune, hinter der
verschlossenen Tür. Erst fing er den Huhn und hielt ihn am Boden.
Dann schlachtete er sein Kopf ab. Der kopflose Huhn lief dann eine
Weile hektisch über die Schäune und blutete herum, bis auf seine
Beine nicht mehr arbeiteten, dann fiel er am Boden, zitterte noch ein
wenig und starb. Jo wunderte sich immer, wieso der tote Huhn doch
laufen kann, aber nachfragen tat er nie. Nur seinen Huhn hatte
Joschka nie schlachten dürfen. Das verstand Joschka gut und bestand
nie darauf, den blinden Huhn auf irgendeine Weise in der Wirtschaft
zu nutzen.
Als die Ma noch lebte,
zubereitete sie den Huhn auf nur ihr bekannte, geheimnisvolle Art.
Dann saßen sie alle zu dritt bei dem Neujahrstisch und genossen den
Huhn. Jetzt versuchte Joschka verzweifelt dieses wunderbare Gericht
nachzumachen, was ihm nicht allzu gut gelang. Jo freute es aber
schließlich, das diese Tradition andauerte und meckerte nicht, auch
wenn der Huhn nicht ebenso gut schmeckte, wie der Ma´s.
Seit Ma fehlte blieb
dem Joschka nicht allzu viel Zeit, die er mit anderen Männer
verbringen dürfte. Schließlich war Jo jetzt das wichtigste und er
brauchte viel Aufmerksamkeit. Da Joschka aber im Dorfleben nicht ganz
fehlen wollte, ging er jeden Samstag zum Pokern ins Nachbarhaus. Jo
nahm er immer mit. Er saß dann immer neben Joschka und schaute sich
seine Karten an. Sie tauschten immer Blicke, als eine Karte zum
Spielen vorkam. Joschka zeigte dann immer auf die Karte, die er
spielen wollte und Jo beantwortete es mit einem leuchtenden Blick.
Die Männer aus dem
Dorf freuten sich immer auf Jo´s Gesellschaft beim Spielen. Er bekam
auch immer ein Glas Kuhmilch und paar frischgebackene Plätzchien.
Die Männer tranken immer Malzbier. So eine Runde Poker konnte
manchmal zu den späten Abendstunden andauern. Als die Männer schon
genug vom Malzbier hatten, fingen sie an zu Singen. Diese Gesänge
liebte Jo, obwohl er nur ganz leise da saß und zuhörte. Und
schaute sich alten Matze an.
Alter Matze war
derjenige, der immer die letzte Runde gewann. Man wusste, dass Matze
die ganze Zeit zurückgezogen bleibt, um schließlich seine
Geschicklichkeit zu beweisen und sich den Sieg zu holen. Matze blieb
aber, trotz den vielen Gewinnen immer gelassen und freundlich, auf
jeden Fall zu Jo.
- Na, wen haben wir denn hier? Ist
unser kleine Kamerad wieder dabei? - fragte er, wenn immer er Jo
sah.
Jo schaute dann immer hoch zu seinem
mit Farbe von der heftigen Sonne bedeckten Gesicht und schrie:
- Ja, teurer Matze, mit dem Papa bin
ich wieder dabei!
- Ich bekomme mein Gläschien, du
bekommst deins.
Sagte Matze jowial. Und wenn Jo nicht
mehr neben Joschka sitzen wollte, setzte er sich immer neben Matze.
- Du kommst mir jetzt Glück zu
bringen, mein Freund.
Matze lächelte.
- Verderbe mir bloß hier nicht
meinen Sohn.
Bat Joschka und alle lachten.
Als alle schon
reichlich von diesem Abendgenuss hatten und sich langsam zur Ruhe
begeben wollten, nahmen Joschka und Jo den Abschied. Joschka fühlte
das viele Malzbier in seinem Kopf schwebend und ging Mit Jo noch zum
Brunnen um etwa frischen Luft zu lauschen. Sie setzten sich dann auf
der alten Brücke und verweilten so in der Stille der Nacht.
- Papa, was sind die Sterne?
- Die sind unsere Begleiter. Jeder
von uns hat ein Stern im Himmel, der sich um ihn sorgt.
- Hat der Stern jemals gelebt, wenn
er sich Sorgen machen kann?
- Alle Sterne waren mal Menschen am
Erde, dann sind sie zu Sternen geworden.
- Ist Ma jetzt auch ein Stern?
- Bestimmt.
- War Ma früher im Brunnen, als sie
lebte?
- Sie liebte den Brunnen, so wie sie
Dich liebte.
- Liebte sie Dich auch?
- Das weißt niemand, mein kleiner.
Joschka Lauschte noch eine
Weile und stand auf. Es blieb nichts mehr zu sagen.
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