Tante Maria sah auf dem
Holzbock und schälte Kartoffel. Die Kartoffelschalen fielen in den
Eimer, den sie vor sich, zwischen Ihren Beinen, gestellt hatte.
Geschälte Kartoffel warf sie dann in den mit Wasser gefüllten Topf,
der nur darauf wartete, auf dem Herd zum Kochen gestellt zu werden.
So kochte sie und sang:
´O Elefant, o Elefant,
finden wir dein Brüderchen,
Finden wir es,
bevor es dunkel wird.
O Elefant, o Elefant´
So sang sie und man hörte sie weit
hinter dem Küchenzelt, da wo sich die Männer zum Zigarren-rauchen
trafen. Der eine oder der andere hielt mal einen Fläschchen dabei
und teilte es mit dem Rest. Nur der Elefant war nicht dort, wo sie
rauchten. Er fand sich immer stattdessen ein kleines Versteck, wie
für sich gedacht, und lauschte Tante Maria´s Gesänge für sich
selbst, ohne viel darüber nachzudenken.
Mal kam zu ihm das Kätzchen
und murmelte verspielt. Elefant murmelte dann auch und so
unterhielten sie sich eine Weile. In diesen Momenten stellte er sich
vor, er wäre nicht mehr der Elefant, sondern hätte auch so ein
weiches Fell und könnte auch so leise unter den Tischen und Bänken
auf denen die Männer saßen, zwischen den abgestellten Bierflaschen,
durchlaufen. So gern wäre er der kleinste und der stärkste und in
den Momenten, in denen er sich mit dem Kätzchen so unterhielt, hatte
er das Gefühl es wäre auch so.
Man wusste nicht mehr, wie
alt Elefant war. Manchmal war es das Thema einer Wette zwischen den
Männer, manche gaben ihm 20, manche 30 Jahre. Ansonsten wetteten
immer die Männer, welches Huhn am stärksten ist, oder welche der
Frauen heute am längsten zum singen bleibt. Und da Elefant es selber
nicht so genau wusste, blieb das ein Geheimnis, das niemand kannte.
Elefant sah immer schon so
aus, was auch für immer sein Vorteil sein sollte. Er änderte sich
nicht, deswegen klagten auch die Zuschauer bei den Vorstellungen
nicht, da jeder wusste, dieses Jahr wird man Elefant auch anschauen
können. Elefant klagte auch nicht, aber klagen tat er ansonsten auch
nie, wegen irgendwas, und schließlich saß er einfach da und
wartete, bis auf seine Zeit auf der Arena verging.
Manchmal hatte man Fliegen
in den Zelten, was besonders die Somnambule unerträglich fanden. Man
ließ dann kleine, dunkle Tomaten liegen und dann verschwanden die
Fliegen. Bald darauf verschwanden auch die Tomaten. Dann rief Tante
Maria: ´Elefant, hast du denn unsere Tomaten gefressen?!´ und sang
darauf ihre Lieder. Elefant saß dann in seinem Versteck und fragte
das Kätzchen murmelnd, ob es das war, dass die Tomaten aufgefressen
hatte. Irgendwie wusste er aber, dass es nicht so sein konnte, da das
Kätzchen schließlich das Klügste war, was er kannte und hatte
kleine Tomaten aus dem Zelt zum klauen nicht nötig.
Elefant dachte dann immer
an die Mäuse. Die erschienen immer schließlich dann, wenn niemand
es merkte und sie könnten die Tomaten wegfressen. Jeden Abend, nach
der Vorstellung, als die Mitarbeiter-Zelte noch leer standen, da sich
alle im Vorstellungszelt besauften, bastelte er an Mäuse-Fallen
hinter seinem Schlafgemach. Am nächsten Tag, als alle Männer nach
dem Abendrausch noch schliefen, verlegte er die Fallen in allen
möglichen Orten, wo die Mäuse reinkommen könnten. Tag danach fand
er zwar keine Mäuse drin, aber die Fallen musste man trotzdem
reparieren und neu verlegen.
Nachts Schliefen Tante
Maria und Onkel Phelippe in ihrem Bett, dass an dem Anderen Ende
ihres Schlafzeltes gelegen war. Mal konnte Elefant lange nicht
einschlafen und hörte etwas, was ihn mal an Weinen, mal nach
Schnarchen erinnerte. Dann kam Tante Maria und sang ihm ein Lied und
so schlief er ein.
Onkel Phelippe konnte
mit einer Hand zwei enormer Schwere Blöcke anheben, deshalb nannten
ihn alle ´Der Heber´. Sein Brustkorb war der breiteste deren aller
Männer und sein Schädel glatt. Elefant schaute immer zu, als Onkel
Phelippe seine Rasierklinge um ein Ledergürtel schärfte. Immer
glitt die Klinge sanft über den Gürtel, bis auf sie so scharf war,
dass Elefant sich nicht getraut hatte, näher an sie zu kommen. Sie
lag auch immer bei den Sachen, die Onkel Phelippe bei seiner Toilette
gebrauchte und blinzelte dort immer, als Elefant nicht einschlafen
konnte.
Onkel Phelippe und
Tante Maria waren immer da, seit dem Elefant sich erinnerte. Immer
war auch der Circus da. Nur das Kätzchen kam jeden Jahr ein neues,
noch klüger und stärker als das andere. Es hatte niemals angst vor
den Männer, dachte Elefant, und das Kätzchen murmelte ihm entgegen.
Mal nahmen Onkel
Phelippe und Tante Maria Elefant zum Dorf um den Stoff für die neue
Kleider auszusuchen. Die Kleider nähte Tante Maria immer selbst,
nach Maß, und Elefant freute sich immer darauf. Sogar die Socken und
die Mützen strickte sie ihm selber und so lief er jeden Winter ganz
neu angezogen. ´Na, freust du dich, mein Elefant?´ - fragte sie
dann immer und obwohl Elefant nichts antwortete, blinzelten seine
Augen von Freude.
Zu den Vorstellungen
brauchte Elefant auch immer ´spezielle´ Kleidung. Man nahte ihm zu
dieser Gelegenheit eine Tunika aus goldenen Seide, rötliche Hose und
eine gelbe Mütze. Elefant gefiel diese Kombination und alle Frauen
im Circus begeisterten sich für ihn, besonders, als ihm Tante Maria
Rouge auf die Wangen gelegt hatte. ´Da ist unser Star!´ - schrien
sie dann immer. Elefant sah nur schweigend da aber tief im inneren
war er warm von dieser Aufmerksamkeit.
Im Dorf durfte Elefant
sich auch alle mögliche Süßigkeiten aussuchen. Zum
Süßigkeiten-Laden gingen die drei zum Schluss, als die Stoffe und
Lebensmittel eingekauft waren. Elefant durfte sich dann ganze Menge
Zeit nehmen und auswählen, was immer er wollte. Meistens liebte er
weiß-goldene Honigbonbons. Mal nahm er drei von ihnen auf ein Mal in
den Mund und leckte so lange, bis auf die milchige Mitte auf seine
Zunge floss. Die schmeckte er eine Weile, schluckte und füllte ein
warmes Gefühl in seinem Bäuchlein.
Damals, als Onkel
Phelippe noch wilde, schwarze Locken auf dem Kopf trug, wurde Elefant
bei der Vorstellung von einem Pferd auf die Arena getragen. Einmal
aber passte ein von den Männer nicht auf und ist hinter dem Pferd zu
nah gegangen. Der Pferd hüpfte plötzlich und Elefant fiel um.
Nachdem musste er zwei Wochen lang auf seinem Schlafgemach liegen
bleiben, und Tante Maria tat es dermaßen Leid, dass sie ihn seitdem
nie wieder auf einem Pferd sitzen ließ. Danach schreckte sich
Elefant trotzdem nicht von Pferden, er wüsste schließlich, dass die
Pferde ebenso wie er schwach gegenüber den Männer waren und auch
Angst fühlten, also ging er nach wie vor jeden Abend zum
Pferdestahl.
Pferde nannte er in
seinen Gedanken ´Prinzen´. Den ´Prinzen´ brach immer jemand etwas
zum essen, worauf sie immer auf ihre Art und Weise mit dem Schwanz
wackelten. Circus besaß zehn Pferde, wovon eine Hälfte ganz
schwarz, die andere ganz weiß war. Nur der ´Sieger´ hatte einen
weißen Pfeil auf seinem schwarzen Stirn. Immer, wenn die Pferde auf
die Arena einmarschierten, ging der ´Sieger´ als erste, wenn also
der weiße Pfeil in dem dunklen Eingang erschien, wusste man, die
Pferde treten ein. ´Sieger´ hatte auch den ersten Platz in dem
Pferdestahl. Man schaute bei ihm als erstem, ob er immer frisches
Wasser hatte und man kämmte ihn häufig. Wann immer auch Elefant
traurig war, ging er zum ´Sieger´. Er fürchtete sich nicht, dem
Publikum als erster in die Augen zu schauen, dachte Elefant. Und
´Sieger´ schaute ihn tröstend entgegen an.
An diesem Abend waren
alle Pferde ruhig. Ab und an hörte Elefant eine Fliege und das
Wasser tropfte am anderen Ende des Stahls. Hinter dem Pferde-Zelt
waren Gesänge der Männer und Frauen zu hören. Musik spielte.
Plötzlich, ganz nah an dem Zelt, hörte er das Brummen eines
vorbeifahrendes Wagens, was auch nicht ganz gewöhnlich war, weil man
um die Uhrzeit keine Zuschauer mehr erwartete und der Circus lag auf
keinem gut befahrenen Weg. Da Elefant aber schon mehrmals
festgestellt hatte, dass alle möglichen dinge können Mal passieren,
lauschte er weiter die Stille des Pferdestahls. Plötzlich hörte der
Wagen zu brummen auf. Elefant hörte knacken der sich öffneten
Türen, das zweite Knacken, das dritte, und der Wagen fuhr Weg. Eine
Weile herrschte stille, und dann hörte er:
´Hilfe, Hilfe! Hört mich jemand?`
Elefant saß unbewegt. Schreiender
Hilferuf in der Dunkelheit war etwas, worauf er in ganzem seinem
Leben nicht gestoßen war, deswegen saß er da und wüsste erst mal
nicht ganz genau, was in solchen Fällen zu tun ist.
´Hilfe, Hilfe!´
-kam wieder vom hinten. ´Was würde
ein Kätzchen tun?´ Fragte sich Elefant, da er sich das immer
fragte, wenn er nicht wusste, was er machen sollte. Letztlich war das
Kätzchen das klügste und das mutigste, was er kannte.
´Bitte, helfen Sie mir!´
Im Elefant mischten sich die Gefühle
der Verunsicherung und Verzweiflung. Und, trotzdem, wie sehr er sich
jetzt vor dieser Dunkelheit fürchtete, dachte er an die Worte der
Tante Maria, dass man immer behilflich sein sollte, wenn die Andere
das brauchen, und beschloß dem Hilferuf zu folgen.
Auf dem Gras, hinter
dem Pferdezelt lag eine Gestalt deren Hände und Füße zusammen
gebunden waren. Auf den ersten Blick sah sie aus, wie einer der
Männer, nur hatte sie einen schwarzen Anzug an, was keiner von
dennen jemals tragen wurde, und das beruhigte Elefant.
´Bitte, entbinden Sie mich.` - fragte
die Gestalt. Ihre Höflichkeit und die Tatsache, dass sie sich in
dieser elenden Lage befand, ermunterten Elefant. Schließlich war er
nicht gewöhnt, dass jemand ihn um irgendwas betete und schwächer
als er war. Er kam näher.
Elefant erkannte in
der Gestalt einen jungen Man, der sich so von ihm bekannten Männer
deutlich unterscheidet hatte. Auf dem weißen Hemd merkte er einen
rötlichen Fleck. Sein Gesicht war geschwollen und hatte blaue
Flecken rund um die Augen.
´Bitte!´ - fragte nochmal der Man.
Elefant schaute ihn schweigend an, zögerte aber nicht länger und
fing rasch an die Gefessel zu lösen. Der Man schreckte erst mal die
befreiten Hände und Füße auf, atmete mit Erleichterung und setzte
sich hin auf dem Gras.
´Sie dachten, ich wäre tot.´ -
klärte er. ´Aber mich, mich kann man nicht so leicht umbringen. Oh,
ich kenne diese Schweine. Sie nehmen Dir alles weg, was Du noch hast
und dann wollen sie Dir noch das Leben nehmen. Das ist ihre Art zu
handeln.´
Elefant wusste nicht, um welche ´Sie´
es sich handelt, und überhaupt nicht, wieso bringen sich die
Menschen gegenseitig um, schaute aber den Man neugierig an.
´Jetzt hab´ich gar nichts, aber mein
Leben hab´ ich noch. Und Sie sind?´
Elefant war nicht gewöhnt, dass man
ihn irgendwas fragte, und überhaupt nicht, wer er sei, es dauerte
also eine Weile, bis auf er verzweifelt leise antwortete:
´Ich bin Elefant.´
´Das ist ja ein komischer Name`
´Ich bin auch komisch´
´Bist Du?´
´Da, auf der Arena. Ich nehme kleine
Münzen. Was Du hast, gibst du, Elefant tanzt auf einem Bein, la la
la.`
´Ich habe keine Münzen. Und sehe
jetzt auch komisch aus.´ - sagte der Man.
Elefant schaute ihn an. ´Man nennt
mich Billy on the Road´ - sagte er und lächelte schwach. Und in dem
Moment, wo er so schwach lächelte, und überhaupt so schwach war,
fühlte sich Elefant einig mit Billy. So selten fühlte er sich mit
irgendjemandem einig. Und, obwohl es niemand mehr was sagte, dachte
er an tausende Dinge, die er über Billy erfahren könnte. So saßen
sie beide eine Weile, beide ohne Angst, wie zwei Brüder, die sich
seit Jahren wieder begegnen. Niemand war stärker, oder schwächer,
sie waren anders und einander ähnlich.
Dann stand Billy auf
und reichte Elefant seine Hand. Elefant schob seine in die vom Billy
rein. Es fing an zu regnen. Sie gingen, und der Weg war breit.
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