Montag, 10. November 2014

Unser Weg

              Der Weg, den sie nahmen, führte über die Maisfelder. Der Mais wuchs hoch in diesem Herbst und duftete leicht süßlich in der Abendsonne. Aus der Weite, von der Nähe der Wohnsiedlungen hörten sie Kinder, die noch um die Uhrzeit draußen spielen durften, da die Schule noch nicht angefangen hatte. Die Pferde waren müde und, obwohl es Joschka schon eilig nach Hause war, liefen langsam, in ihrem eigenen Tempo. Solche Momente mochte er dann nicht mit Gesprächen verweilen und so schwiegen sie beide den ganzen Weg lang. Johann beschwerte sich ganz und gar nicht, da er endlich seine Beine hochziehen und auf dem Beifahrersitz etwa ruhe finden durfte. Schließlich werden sie bald zu Hause und dann wird es gelernt für die Schulprüfung im Winter. Und ab dem Nächsten Jahr geht er zur Schule und es wird kein Milch zum abliefern mehr geben. So träumte Johann, bis auf sie endlich nach Hause eintrafen.
Joschka, der Milchmann, hatte nur den einzigen Sohn. Seit vorletzten Sommer fehlte die Frau von Joschka und der Amt wollte kleinen Jo wegnehmen, da es sich nicht sicher war, ob der Junge es ansonsten mit der Schule schaffen wird. Joschka hat sich aber dermaßen bemüht, dass der Amt ihm schließlich Jo da gelassen hat, unter der Bedingung, dass der Junge die Prüfungen für die Schule erfolgreich besteht. Bis zu den Prüfungen jedoch blieb sein Sohn bei ihm und, da man ansonsten nicht wüsste, was man mit ihm machen sollte, half er Joschka täglich das Milch abzuliefern.
Als sie nach Hause kamen, musste man als erste die leeren Milchflaschen aus dem Wagen nehmen und in die Küche zum aufkochen rein stellen. Dort befand sich ein spezieller Platz für die Flaschen die Joschka täglich mitbrachte. Er stellte auch gleich drei große Töpfe mit Wasser auf dem Herd. Gleich wird das Wasser kochen und dann kann man dort die Flaschen rein stellen. Die werden so die ganze Nacht durch kochen, so dass sie frisch für den Morgen und für das neue Milch werden. Dann wird es gegessen und gelernt.

Zum Abendbrot setzten sie sich immer, als die Pferde und die Milchflaschen schon versorgt waren. Da half Jo immer indem er kleine, nicht allzu schwere Sachen in das Haus trug. Joschka versorgte die Pferde und Jo vorbereitete das Essen, so weit er das nur in seinem kindlichen alter tun konnte. Zum Essen gab es immer etwa Brot, Frischkäse, Marmelade, Schinken und frisches Milch von den Kühen. Joschka trank noch einen mächtigen Kaffee dazu – ohne Kaffee schlief er schon im stehen, ganz wie seine Pferde – den vorbereitete er aber selber, da der Herd kleinem Jo viel zu hoch war.
Als sie sich zum Tisch setzten, rezitierte Joschka erst mal ein kurzes Gebet. In diesen Momenten dachten die beiden an die Ma, die es damals immer tat, niemand gab es aber laut zu. Joschka bedankte sich bei dem Gott für alle seine Gaben, dass sie beide genug zum Essen hatten, und für das Haus, für das Bett zum ausruhen und sagte immer, Gott sei Großzügig zu den Menschen auf Erden. ´Wieso ist Ma nicht mehr mit uns, wenn Gott so großzügig ist?´ - dachte dann immer Jo, Das dachte er aber nur zu sich selbst, da er in seinem Alter schon wusste, man stellt solche Fragen den Erwachsenen nicht. Dann aßen sie friedlich und schweigsam, anschließend bat Joschka Jo, seine Schulhefte mit zu bringen.
Mal hat Joschka versucht einen Lehrer für Jo zu besorgen, alle aber, die in der Stadt wohnten, absagten nach und nach wegen des langen Weges und der einzige, der nicht abgesagt hatte, verlangte dermaßen hohen Preis, dass er sich das nicht leisten konnte. Und so unterrichtete er seinen Sohn selber, mit größerem oder kleinerem Erfolg, aber der Junge lernte jeden Abend außer Sonntag. Jo war viel mehr begabt in den mathematischen Aufgaben als im Lesen, und die machten ihm eindeutig mehr Spaß. Lesen und schreiben musste er aber, da die Schule großen Wert auf Sprache legte und die Kinder dort Dichten und rezitieren lernten. Um so mehr verlangte Joschka, dass Jo sich mit verschiedener kindlichen Literatur befasste und auch mit der für Jugendliche. Mit dieser Erziehung wuchs Jo in der Atmosphäre der großen Verantwortung, die auf ihm lag und, vergleichend mit seinen Gleichaltrigen, reifen Gedanken und Sentenzen aus den Bücher, die Joschka sein Leben lang ansammelte und seinem Sohn am Abend vorließ.

Täglich hatte Joschka vierzig Milchflaschen abzuliefern. Die Haushälte, die er zu versorgen hatte, gehörten oft zu den Mitarbeitern den Fabriken aus der Industriegegend. Da die Kunden von Joschka alle eher bescheiden lebten, bekam er immer, wenn an jenem Tag das Geld für das Milch fehlte, einen kleinen Stück Schinken oder Käse. Bei manchen verweilte er dann immer zu einer kleinen Mahlzeit. Dann erzählte immer die Frau des Hauses über die Messe und wie es dem Pastor und seiner Familie geht. Mal schenkte man etwa Kreuterschnaps ein und alle, außer Jo bekamen klein bisschen davon. Er dagegen saß da und hörte Erwachsenengespräche zu. Manchmal spielte er mit dem Hund und schaute ihm zu, als er anfing, nach seinem eigenen Schwanz zu suchen. Der Hund drehte sich immer dann im Kreis und versuchte, seinen Schwanz zu erwischen. In diesen kurzen Momenten durfte sich Jo wie ein Kind in seinem Alter benehmen und lachte dann immer. ´Lass den armen Hund in Ruhe. Komm, wir gehen jetzt´ - meinte gewöhnlich Joschka, dann verabschiedeten sich und gingen weiter zu den anderen Familien, die sie versorgten.
Es war nicht immer leicht, den Wagen mit den Pferden zwischen den Häuser zu fahren. Mal war der Weg zu schmal und die beiden mussten den Umweg nehmen. Mal war auch die Straße nach dem Regnen noch matschig und der Wagen blieb stehen. Dann musste Joschka aussteigen und schimpfend den Wagen aus der Matsch raus ziehen. Das reizte die Pferde die dann ungedultig stampften. Manchmal ging dafür die ganze Halbe Stunde verloren und der Tag verzögerte sich. Wenn sie dann endlich geschafft haben, zwischen den grauen Häuser durchzufahren, blieb gar keine Zeit übrig und sie freuten sich so bald, als alles erledigt war.

Außer dem Milch von den Kühen bekamen Joschka und sein Sohn noch täglich frische Eier. Die Hühner liefen überall durch den Garten und hatten ihren Aufgang in die Küche. Manchmal züchtete Joschka neue Hühner aus den Eier. Die legte er dann in ein warmes Nest und lass eine Ente da, so dass sie Ruhe hatte und sich um Nachwuchs kümmern konnte. Damals geschah es im Hühnerstahl, nachdem aber ein erwachsener Huhn einem Kucken die Augen auskratzte und die Feder ausrieß, beschloss Joschka die Hännen und ihre Neugeborenen in einen ruhigeren Ort zu verlegen. Das blinde Kücken bewohnte seitdem das Zimmer von Jo und lebte sich mit ihm zusammen.
Zum Neujahr schlachtete Joschka immer einen Huhn. Das tat er in der Schäune, hinter der verschlossenen Tür. Erst fing er den Huhn und hielt ihn am Boden. Dann schlachtete er sein Kopf ab. Der kopflose Huhn lief dann eine Weile hektisch über die Schäune und blutete herum, bis auf seine Beine nicht mehr arbeiteten, dann fiel er am Boden, zitterte noch ein wenig und starb. Jo wunderte sich immer, wieso der tote Huhn doch laufen kann, aber nachfragen tat er nie. Nur seinen Huhn hatte Joschka nie schlachten dürfen. Das verstand Joschka gut und bestand nie darauf, den blinden Huhn auf irgendeine Weise in der Wirtschaft zu nutzen.
Als die Ma noch lebte, zubereitete sie den Huhn auf nur ihr bekannte, geheimnisvolle Art. Dann saßen sie alle zu dritt bei dem Neujahrstisch und genossen den Huhn. Jetzt versuchte Joschka verzweifelt dieses wunderbare Gericht nachzumachen, was ihm nicht allzu gut gelang. Jo freute es aber schließlich, das diese Tradition andauerte und meckerte nicht, auch wenn der Huhn nicht ebenso gut schmeckte, wie der Ma´s.

Seit Ma fehlte blieb dem Joschka nicht allzu viel Zeit, die er mit anderen Männer verbringen dürfte. Schließlich war Jo jetzt das wichtigste und er brauchte viel Aufmerksamkeit. Da Joschka aber im Dorfleben nicht ganz fehlen wollte, ging er jeden Samstag zum Pokern ins Nachbarhaus. Jo nahm er immer mit. Er saß dann immer neben Joschka und schaute sich seine Karten an. Sie tauschten immer Blicke, als eine Karte zum Spielen vorkam. Joschka zeigte dann immer auf die Karte, die er spielen wollte und Jo beantwortete es mit einem leuchtenden Blick.
Die Männer aus dem Dorf freuten sich immer auf Jo´s Gesellschaft beim Spielen. Er bekam auch immer ein Glas Kuhmilch und paar frischgebackene Plätzchien. Die Männer tranken immer Malzbier. So eine Runde Poker konnte manchmal zu den späten Abendstunden andauern. Als die Männer schon genug vom Malzbier hatten, fingen sie an zu Singen. Diese Gesänge liebte Jo, obwohl er nur ganz leise da saß und zuhörte. Und schaute sich alten Matze an.
Alter Matze war derjenige, der immer die letzte Runde gewann. Man wusste, dass Matze die ganze Zeit zurückgezogen bleibt, um schließlich seine Geschicklichkeit zu beweisen und sich den Sieg zu holen. Matze blieb aber, trotz den vielen Gewinnen immer gelassen und freundlich, auf jeden Fall zu Jo.
- Na, wen haben wir denn hier? Ist unser kleine Kamerad wieder dabei? - fragte er, wenn immer er Jo sah.
Jo schaute dann immer hoch zu seinem mit Farbe von der heftigen Sonne bedeckten Gesicht und schrie:
- Ja, teurer Matze, mit dem Papa bin ich wieder dabei!
- Ich bekomme mein Gläschien, du bekommst deins.
Sagte Matze jowial. Und wenn Jo nicht mehr neben Joschka sitzen wollte, setzte er sich immer neben Matze.
- Du kommst mir jetzt Glück zu bringen, mein Freund.
Matze lächelte.
- Verderbe mir bloß hier nicht meinen Sohn.
Bat Joschka und alle lachten.
Als alle schon reichlich von diesem Abendgenuss hatten und sich langsam zur Ruhe begeben wollten, nahmen Joschka und Jo den Abschied. Joschka fühlte das viele Malzbier in seinem Kopf schwebend und ging Mit Jo noch zum Brunnen um etwa frischen Luft zu lauschen. Sie setzten sich dann auf der alten Brücke und verweilten so in der Stille der Nacht.
- Papa, was sind die Sterne?
- Die sind unsere Begleiter. Jeder von uns hat ein Stern im Himmel, der sich um ihn sorgt.
- Hat der Stern jemals gelebt, wenn er sich Sorgen machen kann?
- Alle Sterne waren mal Menschen am Erde, dann sind sie zu Sternen geworden.
- Ist Ma jetzt auch ein Stern?
- Bestimmt.
- War Ma früher im Brunnen, als sie lebte?
- Sie liebte den Brunnen, so wie sie Dich liebte.
- Liebte sie Dich auch?
- Das weißt niemand, mein kleiner.
Joschka Lauschte noch eine Weile und stand auf. Es blieb nichts mehr zu sagen.






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